kkStB-Reihen in Polen |
Bei
der Erstellung eines Lokomotiv-Verzeichnisses der Polnischen Staatsbahnen
in der ersten Polnischen Republik (1918 - 1939, "PKP-A") haben sich seit
Beginn solcher Versuche immer
wieder erhebliche Schwierigkeiten ergeben, weil in der Zeit
der deutschen und sowjetrussischen Okkupation Polens der größte Teil der
Dokumentationen über den Lokomotivbestand in Verlust geraten
bzw. vernichtet worden ist. Die Geheimniskrämerei des kommunistischen
Regimes nach 1945 hat
überhaupt fast jede Nachforschungen nach Dokumenten
verhindert und die Bemühungen verschiedener
interessierter Eisenbahnfreunde in den deutschen und
österreichischen Archiven erbrachten nur
schwer koordinierbare Teilergebnisse. Bei näherer Überprüfung erhoben sich jedoch einige Zweifel an der Authentizität dieser Listen:
a. Es ist niemals ein Originaldokument oder auch nur ein
Teil davon vorgelegt worden, was bei
den vorerwähnten Verhältnissen zur Zeit ihres Erscheinen
noch verständlich wäre; Da nach 1990 neue amtliche und daher authentische Informationen zugänglich geworden sind, wie das Kesselbuch der PKP von 1936, und durch Kopier- und Computertechnik neue und effizientere Arbeitsmethoden verfügbar waren, wurde es möglich, die vorhandenen Dokumentationen neu auszuwerten. Dabei sollten alle bisherigen von privater Seite gelieferten Informationen weitgehend vernachlässigt und nur amtliche Dokumente als Quellen benützt werden. Dipl.-Ing. Ingo Hütter (Celle, Deutschland) hat dazu die bei den Arbeiten der für die Übergabe von Lokomotiven aus dem Deutschen Reich verantwortlichen internationalen Kommission (Tanaka-Kommission) verwendeten Papiere sowie die Übergabeprotokolle der von der preussischen Eisenbahnverwaltung nach Polen abgetretenen Lokomotiven kopiert und bearbeitet. Mag. Jerzy Wasilewski (Warszawa, Polen) erstellte aus dem erwähnten Kesselbuch der PKP und verschiedenen anderen Informationen eine Computerliste des Lokomotivparks der PKP zwischen 1936 und 1938. Dipl.-Ing. Reimar Holzinger (Wien, Österreich) konnte im Staatsarchiv Wien Dokumente der Vorgänge anlässlich der Aufteilung des rollende Materials der österreichisch-ungarischen Monarchie hinsichtlich der Übergabe österreichischer und ungarischer Lokomotiven an Polen auswerten und kopieren. Diese zuletzt angeführte Arbeit soll nun beschrieben und eine Zusammenfassung ihrer Ergebnisse vorgelegt werden.
Durch den Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie ergab sich die Notwendigkeit, die Fahrzeuge der Staatsbahnen der beiden "Reichshälften", kkStB und MAV, auf jene Staaten aufzuteilen, die neu entstanden waren (Österreich, die Tschechoslowakei und Polen) oder sich Gebietsteile eingegliedert hatten (Italien, Rumänien und das Königreich SHS-später Jugoslawien). Gemäß Artikel 318 des Friedensvertrages von St.Germain und 308 jenes von Trianon wurde im Oktober 1919 eine "Kommission für die Aufteilung des Fahrparkes der gewesenen österreichisch-ungarischen Monarchie" - im folgenden als "Aufteilungskommission" oder "Kommission" bezeichnet - eingesetzt. Alle beteiligten Staaten entsandten Vertreter und es wurden eine Reihe von Fachkommissionen gebildet, darunter eine für die Registrierung und spätere Aufteilung der Lokomotiven. Die Akten der Arbeiten der Aufteilungskommission - die ja auch die viel umfangreichere Wagenaufteilung zu bewältigen hatte - sind nach ihrem Abschluss im Jahre 1933 dem österreichischen Verkehrsarchiv übergeben worden und können dort als "Bestand XIII" (in 25 Kartons und 5 Aktenordnern) eingesehen werden.
Als Ausgangs-Stichtag für die Ermittlung des
Fahrzeugbestandes wurde der Tag des
Kriegsausbruches (30.Juni 1914) festgelegt, ein weiterer
Stichtag war der Termin des Waffenstillstandes
(3.November 1918). Es ergaben sich zusätzliche Probleme aus der Anzahl der
Zwar wurde am 4.Jänner 1920 eine Lokomotivenzählung
durchgeführt, auf Grund der man erst
einmal feststellen konnte, wieviele und welche Lokomotiven
sich in den einzelnen Staatsgebieten
befanden. Die Lokomotiven der österreichischen
Privatbahnen, auch jener, die von der kkStB "für
Rechnung der Eigentümer" oder "für Rechnung des Staates"
betrieben wurden, waren nicht in die
Aufteilung einzubeziehen. Die normalspurigen Lokomotiven
der kukHB aber sollten nach Entscheidung
vom 2.10.1920 (auf Grund der unter e. beschriebenen
Situation) zur Gänze an Polen übergeben werden.
Mit 19.6.1920 hatte man beschlossen, den einzelnen Staaten verschiedene
Lokomotiv-Reihen der
kkStB zur Gänze oder zum Teil zuzuweisen. Nach dieser als
definitive Lokzuweisung "DL I" bezeichneten
Anordnung sollte Polen Anspruch auf die Reihen 107 (2 Stück), 207 (4), 210
(9), 19 (3),
22 (2), 25 (7), 38 (19), 46 (20), 160 (42), 278 (6), 188
(2) und 95 (1) sowie auf 11 Stück der
Reihe 70 und 15 der Reihe 308 haben, dazu noch 29 der Reihe
329, 152 der Reihe 60 und 65 der Reihe
260. Mit Ausnahme der Reihen 210, 160, 308, 278, 329, 60 und 260 waren es
aber schrottreife
Uralt-Typen, sodass schon am 19.10.1921 die polnische
Delegation um die Genehmigung zur Kassie-rung
verschiedener Lokomotiven ansuchte und weitere solche Anträge am
31.7.1922, 12.7.1923,
24.11.1923, 9.4.1924 und 26.6.1924 folgen ließ. Diese
umfassten auch zahlreiche Lokomotiven aus in
"DLI" nicht genannten Reihen, die sich jedoch auf
polnischem Gebiet befanden. In der 128. und
143. Kommissionssitzung am 4.12.1923 und 10.7.1924 wurden
diese Kassierungen auch bewilligt, da
man Verständnis dafür hatte, dass für diese Lokomotiven die
"Instandsetzung zufolge Alters und geringer
Leistungsfähigkeit nicht ökonomisch erscheint" und sie "sich bereits in
den Werkstätten
befinden und den ohnedies beschränkten Raum verstellen",
wie die polnische Delegation ein einem
ihrer Schreiben beklagte, Die Listen mit den Lokomotiv- und
Tendernummern der beantragten und der
genehmigten Verschrottungskandidaten sind erhalten
geblieben, wurden kopiert und können als Dokumentation
für ihre Existenz nach 1918 in Polen dienen. Die überwiegende Mehrheit der
zugewiesenen
Lokomotiven der kukHB (Reihen 274, 328, 370, 578, 680 und 860) waren fast
neuwertig, nur die
aus der Schweiz angekauften Lokomotiven der Gruppe "2400",
5 schon aus dem Bestand der kkStB gestrichen
gewesene, jedoch reaktivierte Lokomotiven (40.29/30, 46.06/16, 62.03)
wurden zur Kassierung
beantragt und freigegeben.
Da von BBÖ, SHS, CSD, CFR und FS bekannt und dokumentiert
ist, welche Lokomotiven dort
nach 1924 in den Bestand genommen wurden, kann man die zu
PKP gekommenen Lokomotiven auf Grund
des kkStB-Verzeichnisses von 1918 herausfinden. Das
Ergebnis deckt sich Die polnische Staatsbahn hatte aber neben den nach dem kkStB-Nummernschema bezeichneten Lokomotiven auch solche der preussischen Staatsbahnverwaltung (KPEV), mehrerer deutscher Länderbahnen und russischer Eisenbahnen in Besitz genommen oder zugesprochen erhalten, die Bezeichnungen völlig anderer Form trugen. Das polnische Eisenbahnministerium gab daher am 3.11.1922 mit Zahl VI 10653/26a einen Erlass über die Serienbezeichnung und Nummerierung der Dampflokomotiven heraus, der im wesentlich auch nach 1945 angewendet wurde. Da jedoch zu diesem Zeitpunkt die Besitzverhältnisse der Lokomotiven ungeklärt waren (weder die Tanaka-Kommission für die deutschen noch die Wiener Kommission für die österreichischen Lokomotiven hatten ihre Arbeiten abgeschlossen) ist eine Umzeichnung damals vorerst unterblieben. Lediglich neu beschaffte Lokomotiven wurden vom Anfang an nach dem neuen Schema bezeichnet, wobei es wahrscheinlich vor 1922 noch eine Bezeichnung mit vierstelligen Nummern gegeben hat. Das nächste bisher verfügbare Dokument über den (normalspurigen) polnischen Lokomotivbestand war eine Tabelle mit technischen Daten, derzeitigen und früheren Reihenbezeichnungen sowie Anzahl der am 31.12.1926 bei jeder Reihe vorhandenen Lokomotiven, die von Prof. A.Czeczott verfasst und vom Eisenbahnministerium mit dem Titel "Characterystyka Parowozów" 1927 herausgegeben wurde. Über die Zeit zwischen 1922 und 1926 aber gab es keine Informationen, weder über die geltenden Bezeichnungen, noch über die Anzahl der Lokomotiven in jeder Baureihe, und auch nicht über die Zuweisung von Reihenbezeichnungs-Nummern an die einzelnen Bauarten. Es wurde daher, vor allem über das letztgenannte Problem viel gerätselt und konstruiert, ohne dass befriedigende Antworten gefunden werden konnten. Auch das schließlich dem Eisenbahnmuseum in Warszawa übergebene Kesselbuch der PKP erwies sich nicht als hilfreich, da seine Eintragungen erst 1935 beginnen. Kesselbücher aus früherer Zeit dürfte es bei den einzelnen Direktionen gegeben haben, doch sind sie nicht erhalten geblieben. Nur eine Inventar-Liste der DOKP (Direktion) Warszawa vom 1.7.1920 konnte in der Bibliothek der Generaldirektion der PKP gefunden werden. Dass plötzlich eine vollständige Umzeichnungsliste aus 1928 auftauchte, schien an ein Wunder zu grenzen, doch gab es, wie schon erwähnt, daran sehr bald begründete Zweifel.
Die derzeitigen Nachforschungen in den deutschen und
österreichischen Archivdokumenten
erlaubten aber schon, einige Schlussfolgerungen zu ziehen:
Im Dezember 1998 hat Herr Piotr Staszewski (Lublin,
Polen) ein 1927 veröffentlichtes
Dokument "Zbiór Okolników" der DOKP Warszawa gefunden, in dem verschiedene
Rundschreiben der
Generaldirektion der PKP aus 1922-1926 zitiert werden, die
interessante Daten über Lokomotivbezeichnungen
und Lokomotivbestand in dieser Zeit enthalten (Anlage 4). Aus diesen
ergibt sich und
ist damit dokumentarisch belegt:
An Hand der hier angeführten Tatsachen und der Ergebnisse der Nachforschungen über die Umstände der Übernahme deutscher Lokomotiven durch PKP lässt sich eine Bewertung der vorgeblichen "Umzeichnungsliste 1928" vornehmen.
Wenn sie zwar eine große Anzahl auch anderweitig
überlieferter und dokumentarisch gesicherter
Daten enthält, so haben die Erhebungen in den Archiven schwerste Mängel
und Fehlinformationen
aufgedeckt und grundsätzliche Fragen aufgeworfen:
Es muss daher mit Bedauern abschließend festgestellt werden,
dass bis zur Vorlage von
unter normalen Umständen überprüfbaren Beweisdokumenten die
"Umzeichnungsliste der PKP 1928" als
total unseriöses Machwerk anzusehen ist und von jeder
Benützung von Angaben daraus nur dringend
gewarnt werden kann. Das gleiche gilt übrigens auch für die Listen der
Lokomotiven der
lettischen (LVD) und litauischen (LG) Staatsbahnen
1918-1940 des selben Urhebers. |
English version: page 51284 51283 P060426 |